Boa constrictor - Die Abgottschlange
Binder, S. & A. Lamp (2007)
Boa constrictor – die Abgottschlange.
Natur und Tier - Verlag,
Münster;
207 S., 188 Farbfotos, 11 Grafiken und Verbreitungskarten,
Hardcover;
ISBN 978-3-931587-91-8;
€ 39,80
Die Anfrage des Natur und Tier - Verlages, ob wir bereit wären, für die Zeitschrift REPTILIA eine Rezension über das Buch „Boa constrictor – Die Abgottschlange“ von Stefan Binder & Andreas Lamp zu schreiben, brachte uns zunächst einmal gehörig ins Grübeln. Kann und soll jemand, der selber ein Buch über Boa constrictor geschrieben hat, eine Rezension über einen anderen Autor, einen Mitbewerber auf dem Buchmarkt quasi, schreiben? Und was tun, wenn das zu beurteilende Werk grottenschlecht ist? Verreißen? Dann heißt es sicher gleich, das wäre nur der Futterneid. Auch Herr Bernd Degen, Inhaber des bede-Verlags und Herausgeber der meisten unserer Bücher, meinte, dass man sich mit einer Rezension nichts Gutes tut (da hatten wir sie allerdings schon geschrieben). Der Chefredakteur von REPTILIA, Heiko Werning, zerstreute unsere Bedenken mit dem Argument, dass man neue Wege beschreiten wolle und man im Übrigen auf unsere Objektivität vertraue. Mutige Leute, die beim Natur und Tier – Verlag …
Dies umso mehr, weil die Verantwortlichen sicherlich wussten, dass Sie von uns als passionierte Liebhaber von Boa constrictor nichts anderes bekommen als unsere unverblümte Meinung.
Hier ist sie:
Laut Verlagsinfo handelt es sich bei den Autoren um zwei führende deutsche Praktiker in Sachen Abgottschlangen. Stefan Binder ist Zoologe und Andreas Lamp langjähriger Halter und Züchter von Boa constrictor. Die Autoren behandeln in ihrem Werk schwerpunktmäßig die Unterarten der Abgottschlangen und ihr Verbreitungsgebiet, die Lebensweise und das Verhalten dieser Tiere sowie die Haltung und Zucht von Boa constrictor. Auch auf Farb- und Zeichnungsvarianten inklusive Genetik und Krankheiten der Abgottschlangen wird eingegangen. Nun ist es so, dass man über fast jedes dieser Themen ein eigenes Buch schreiben könnte. Da stellt sich zunächst die Frage, ob angesichts dieser Fülle das Werk nicht allzu oberflächlich geraten ist.
Die Antwort lautet: nein. Binder & Lamp haben es geschafft, dem Leser die Quintessenz jedes Themas näherzubringen. Zudem ist das Werk recht übersichtlich und schön gegliedert. Einschränkend ist zu sagen, dass wir uns manches ein wenig detaillierter gewünscht hätten, und manches weniger ausführlich. Doch darauf kommen wir noch.
Nach dem erbaulichen Kapitel über die Anatomie der Abgottschlangen folgte ein gehöriges Stirnrunzeln, als Binder & Lamp über die Größe von Boa constrictor referierten.
Zitat: „Beeindruckende Exemplare (…) mit über 4 m Länge sind selten – in den Ursprungsländern wie auch in den europäischen Terrarien“. Hier wären nach unserem Kenntnisstand die Worte „gänzlich unbekannt“ statt „selten“ wohl treffender gewesen. Die Rekordlängenangabe von 4,20 m für Boa constrictor haben sich die Autoren aus dem Werk „Snakes of the United States and Canada“ (Ernst & Ernst 2003) geholt. Dort steht lapidar zu lesen: „Boa constrictor is the largest snake with a breeding population in the United States. Its record TBL is 4,2 m (…)”. (Boa constrictor ist die größte Schlange, von der in den USA eine sich reproduzierende Population existiert. Ihre Rekordlänge ist 4,2 m). Dieser Quelle stehen wir äußerst kritisch gegenüber. Einem Boa-constrictor-Liebhaber verursacht es ohnehin Bauchschmerzen, wenn in einem Buch über die Schlangen der USA und Kanadas (!) vier Seiten lang über Abgottschlangen geschrieben wird, nur weil sich in einem Zipfel Floridas von Schlangenhaltern ausgesetzte Abgottschlangen vermehrt haben. Zudem haben Ernst & Ernst außer Acht gelassen, dass sich in den Everglades auch Tigerpythons schon fleißig vermehren. Und dann kommt noch die lapidare Angabe der Maximalgröße von Boa constrictor: 4,2 m. Kein Wort darüber, wo dieses Tier gefunden wurde, wann, wie und von wem. Doch zurück zum Buch von Binder & Lamp, denn wir wollen ja keine Rezension über Ernst & Ernst schreiben. Was wir damit sagen wollen ist, dass wir von dieser Quelle nicht überzeugt sind. Es ist Binder & Lamp zudem anzukreiden, dass sie in einer Zeit, wo den Haltern von Abgottschlangen seitens der Gesetzgebung ein steifer Wind ins Gesicht bläst, der Legislativen auch noch Munition liefern. Zitat: „Boas von über 4 m können 40 kg Körpergewicht und mehr erreichen (…) und können auch beim Menschen zu Verletzungen und unter unglücklichen Umständen eventuell zu Todesfällen führen“. Eine Boa constrictor von 4 m Länge ist in der Terrarienhaltung (und wahrscheinlich auch in der Wildnis) so häufig wie ein Yeti im Bayerischen Wald. Es ergibt also keinen Sinn, vor einer solchen Gefahr zu warnen, zumal weltweit bisher kein einziger Fall bekannt geworden ist, wo eine Boa constrictor einen Menschen ernsthaft verletzt hätte (siehe auch Schreiben der DGHT vom 07.07.2007 an das Bayerische Staatsministerium des Inneren, http://www.boa-constrictors.com/de/Rechtliches/SchreibenDGHT1.jpg).
Weil es an dieser Stelle gerade passt, weisen wir darauf hin, dass Binder & Lamp im Kapitel „Das rechtliche Problem“ (S. 88) einer Fehlinformation aufgesessen sind. Die Autoren schreiben, dass in Bayern Schlangen ab 3 m Länge als gefährliche Tiere gelten, aber Boa constrictor von dieser Regelung ausgenommen sei. Schön wäre es ja. Leider ist in Bayern schon seit Jahren die Haltung von ALLEN Boa constrictor gemäß Art. 37 Landesstraf- und Verordnungsgesetz erlaubnispflichtig. Die Erteilung dieser Erlaubnis wird zudem von den Behörden so restriktiv gehandhabt, dass man im Freistaat mittlerweile kaum mehr eine Chance hat, legal eine Boa constrictor halten zu dürfen. Derzeit sind allerdings im Innenministerium Überlegungen im Gange, Boa c. imperator und Boa c. sabogae von dieser Regelung auszunehmen. Man kann nur hoffen, dass keiner der Entscheidungsträger über die S. 88 des Buches von Binder & Lamp stolpert.
Mit dem Kapitel über die Färbung und Zeichnung sowie die Sinnesorgane der Abgottschlangen haben die Autoren einen guten Beitrag zum besseren Verständnis der Biologie dieser Tiere geleistet. Unsere Meinung dazu: sehr interessant und lehrreich.
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Den Unterarten von Boa constrictor sowie der Verbreitung und dem Lebensraum dieser Tiere ist ein gewichtiger Teil des Buches gewidmet. Bezüglich der Unterarten spielt natürlich die Taxonomie eine wichtige Rolle, und wie man weiß, gehen hier die Meinungen weit auseinander. Die Autoren schreiben auf Seite 27, dass Boa c. longicauda seit kurzem als sichere Unterart gilt. Dieser Meinung können wir uns nicht anschließen. Da die Autoren auch nie in der Provinz Tumbes in Peru waren, gibt es keinerlei Daten über den exakten Fundort der Tiere, weder GPS-Daten, noch Angaben bezüglich Längen- und Breitengrad, auch keine Aufzeichnungen, in denen z. B. steht: „Der Natur entnommen 20 km östlich von Soundso“. Eine Unterartbeschreibung ohne Erkenntnisse über die tatsächliche geographische Verbreitung der Tiere erscheint uns aber nicht sinnvoll. Auch nach dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen ist Boa c. longicauda nicht anerkannt, im Gegensatz zu Boa c. sabogae. Hier sind die Autoren jedoch eher der Meinung, dass diesen Tieren der Unterartstatus nicht zukommt.
Da wir gerade bei Boa c. sabogae sind: Binder & Lamp schreiben diesen Tieren eine vergleichsweise höhere Aggressivität zu (S. 55). Dies können wir in keiner Weise bestätigen, bei den Nachzuchten ist sogar ausnahmslos das Gegenteil der Fall.
Im Kapitel über die Unterarten und deren Verbreitung finden sich zwei Highlights. Ein weiteres Mal wird dem Irrglauben, dass es einen Unterschied zwischen Surinam- und Guyana- Rotschwanzboas gibt, schwerer Schaden zugefügt. Binder & Lamp eröffnen dem ahnungslosen Leser, dass Händler in den USA Lieferungen aus demselben Land je nach Färbung als Surinam- bzw. Guyana-Rotschwanzboas deklarieren und vor dem Verkauf entsprechend sortieren. Die Autoren hatten da offenbar bessere Quellen als der US-Amerikaner Vincent Russo, der seinen Lesern in seinem fast zeitgleich erschienen Buch „The Complete Boa constrictor“ noch lang und breit die Unterschiede zwischen Surinam- und Guyana-Rotschwanzboas erklärt. Das zweite Highlight dieses Kapitels ist, dass Binder & Lamp einen Begriff gefunden haben, unter dem die Rotschwanzboas aus Surinam, Guyana und Venezuela zusammengefasst werden können: „Guyana-Delta-Variante“. Wirklich eine gute Idee! Jedoch vertreten wir nicht die Ansicht der Autoren, dass auch die Boa c. constrictor von Trinidad und Tobago so bezeichnet werden sollten. Erstens handelt es sich um eine Inselform, und zweitens unterscheiden sich die Trinidad-Rotschwanzboas sehr deutlich von ihren Verwandten auf dem Festland. Das Kartenmaterial und die Bilder des Buches im Allgemeinen und in diesem Kapitel im Besonderen leiden ein wenig unter dem Format des Buches, vermitteln aber dem Leser trotzdem noch einen guten Überblick über die Verbreitung der Abgottschlangen-Unterarten und wie die Varietäten in den einzelnen Ländern aussehen.
Den Abschnitt über die Lebensweise und Verhalten von Boa constrictor fanden wir sehr interessant und lesenswert. Solide und gut recherchierte Infos bieten auch die Kapitel über Artenschutz, Terrariensicherheit und Terrarienbau. Der Empfehlung der Autoren, Heizmatten für ein Abgottschlangenterrarium zu verwenden, wollen wir jedoch nicht folgen. Stellt man das Wassergefäß auf die Heizmatten, wird sich das Wachstum von Mikroorganismen im Wasser beschleunigen, und wenn sich die Boa längere Zeit darauf legt, besteht die Gefahr der Austrocknung des Tieres. Jedem „Heizmattenfan“ empfehlen wir, ein Hygrometer direkt auf eine eingeschaltete Heizmatte zu legen und dann nach einer Stunde den Wert abzulesen.
Im weiteren Verlauf des Werkes folgen Informationen über den Erwerb einer Boa constrictor, den Umgang mit diesen Tieren und Ratschläge zur Haltung, Pflege und Zucht von Abgottschlangen. Gerade bei den letztgenannten Themen gehen die Meinungen auch der Experten oft weit auseinander.
Wir würden z. B. eine etwas maßvollere Fütterung empfehlen, als es Binder & Lamp tun. Auch müssen wir der auf S. 130 gemachten Aussage, dass durch „Kaiserschnitt“ zur Welt gekommene Boa-constrictor-Babys eine gute Überlebenschance haben, widersprechen: Boa-Babys, die nicht auf natürlichem Weg zur Welt kommen, werden in der Regel nur noch tot geborgen. Das ändert jedoch nichts daran, dass die vorgenannten Abschnitte als Leitfaden zur Haltung, Pflege und Zucht von Boa constrictor durchaus empfohlen werden können.
Beim Kapitel über Inzucht haben wir uns gefreut, dass Binder & Lamp den Finger in die Wunden der amerikanischen Farbzüchter legen: exzessive Inzucht von Abgottschlangen mit genetischen Defekten, um möglichst schnell möglichst viele der „neuen Modelle“ zu produzieren.
Angesichts der Robustheit von Boa c. longicauda und der Tatsache, dass es sich beim überwiegenden Teil der in Europa und in den USA gehaltenen peruanischen Boa c. constrictor um Farmnachzuchten (also verkappte Wildfänge) handelt, können wir die Meinung der Autoren, bei den vorgenannten Sorten würde es Inzuchtprobleme geben, nicht teilen. Wir haben auch noch nie etwas Derartiges gehört.
Angenehm überrascht waren wir über die kritischen Untertöne im Kapitel über Farb- und Zeichnungsvarianten. Wir hätten uns allerdings gewünscht, dass die Autoren die Praxis der „Farbzüchter“ in den USA, ihre genetischen Krüppel mit reinrassigen Abgottschlangen (meist Surinam-Rotschwanzboas) zu verpaaren, deutlicher anprangern. Die Information, dass sich der Preis für Farbzuchten alle vier Jahre halbiert (nach unserem Kenntnisstand geht es sogar noch schneller), wird sicherlich dem einen oder anderen Leser, der aus finanziellen Erwägungen heraus ins „Farbzüchtergeschäft“ möchte, zu denken geben.
Nach zwei informativen Seiten über die Häutung bietet das Kapitel über Krankheiten einen guten Überblick über die häufigsten gesundheitlichen Beschwerden der Abgottschlangen. Diesem Thema haben die Autoren 24 Seiten gewidmet, zehn davon entfallen auf die Viruserkrankung IBD, was wir für etwas sehr großzügig halten. Hier ein paar Seiten weniger und dafür bei der Beschreibung der Unterarten einige Seiten mehr hätten dem Buch keinen Schaden zugefügt. Der IBD-Beitrag ist jedoch gut recherchiert und auf dem neuesten Stand der Erkenntnisse. Besonders interessant fanden wir die Information, dass die bei Feldstudien in Süd- und Mittelamerika auf IBD getesteten reinrassigen Boa constrictor allesamt ohne Befund waren. Es wäre vielleicht auch noch der Hinweis angebracht gewesen, dass es sich bei den meisten der IBD-positiven Abgottschlangen um normale Mischlingsboas und Farbzuchten handelt. Wir gehen davon aus, dass das derzeit auch noch prozentual der Fall ist. Als eine der wichtigsten Maßnahmen gegen die Ausbreitung von IBD haben die Autoren eine konsequente Milbenbekämpfung und -Prävention genannt. Die Anregung von Binder & Lamp, man solle jede neu erworbene Schlange präventiv auf Milben behandeln, sollte sich jeder zu Herzen nehmen! Was wir allerdings vermisst haben, ist die Empfehlung, verendete Tiere konsequent auf IBD untersuchen zu lassen.
Ein guter Gedanke der Autoren war, im Kapitel über Krankheiten auch das Thema Zoonosen zu behandeln. Diese Problematik wurde bisher in anderen Büchern weitgehend außer Acht gelassen. Auch beim Abschnitt „Die Tierarztproblematik“ haben Binder & Lamp ins Schwarze getroffen. Hier liegt ja bekanntermaßen viel im Argen. Nach der entsprechenden Lektüre werden Besitzer einer kranken Boa constrictor sicherlich genauer hinsehen, ob der „Reptilientierarzt“ auch wirklich qualifiziert ist.
Die Autoren führen auf Seite 176 aus, dass Schlangen im letzten Körperdrittel gespritzt werden sollen und warnen vor der von uns beschriebenen Methode, am Übergang vom ersten zum zweiten Körperdrittel zu injizieren, weil sich durch eine Abwehrbewegung die Kanüle ins Herz bohren kann.
Hierzu ist zu sagen, dass eine Boa constrictor bei der Injektion natürlich IMMER so zu fixieren ist, dass das nicht passieren kann. Des weiteren werden bei der Injektion im letzten Körperdrittel - wie von den Autoren empfohlen - nicht die nötigen Wirkstoffspiegel des Medikamentes erreicht (Wolfgang Heuberger, Dr. Katharina Heuberger, pers. Mitteilung).
Die Empfehlung von Lamp und Binder ist also nicht unbedenklich, da die Gefahr groß ist, dass die Behandlung nicht anschlägt.
Nun sind wir am Ende der Rezension angelangt. Sollte nun der Eindruck entstanden sein, wir hätten mehr kritisiert als gelobt, so liegt das daran, dass wir auf die (unserer Ansicht nach) negativen Punkte wesentlich ausführlicher eingegangen sind. Lob zu begründen, erfordert halt weniger Schreibarbeit, als Kritik zu rechtfertigen. Wir betrachten das Buch als gute Ergänzung zu unserem Werk „Reinrassige Boa constrictor“ und freuen uns, „Boa constrictor – Die Abgottschlange“ in unserem Bücherregal zu haben. Wäre es eine Amazon-Rezension, würden wir vier Sterne von fünf geben.
Hermann + Erika Stöckl
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